Das Schuljahr ist zu Ende – ein guter Zeitpunkt zu fragen, wie wir Menschen bilden wollen. Fest steht nur: So
bleiben, wie es ist, soll es auf keinen Fall. Das Umfrage-Institut Forsa hatte
gefragt: «Was die Deutschen vom Schulsystem halten». Nicht, dass man die
Antwort nicht vorher geahnt hätte. Aber erschreckend ist es dann irgendwie
doch. Gerade einmal drei Prozent der
Deutschen sind mit dem gegenwärtigen Schulsystem „sehr zufrieden". Drei
Prozent!
Wahrscheinlich kommt man auf diese Zahl alleine schon dadurch, wenn man all
jene Berufstätigen aufaddiert, die von der Existenz staatlicher Schulen
profitieren. Rektoren, Schulamtsleiter und andere Beamte, die unser Schulsystem
verwalten. Wobei: Ob diese bei einer geheimen Umfrage angeben, dass sie damit
sehr zufrieden seien?
Die Mehrheit jedenfalls möchte Veränderungen: 62 Prozent der Deutschen sind
mit dem gegenwärtigen Schulsystem „unzufrieden" oder „sehr unzufrieden". Nur 27
Prozent votieren für „zufrieden".
Aber wohin soll die Reise gehen? Welche Schule wollen wir? Am Schulsystem
wird herum geschraubt seit es das Schulsystem gibt. Doch mit welchem Erfolg? Sind die Schulen besser geworden? Wir
wissen es nicht. Alles was wir haben sind
unsere Erfahrungen. Genauer gesagt: Jeder hat seine Erfahrung. Und fällt damit
sein Urteil.
Ein Wesenszug des deutschen Schulsystems, den nicht alle verstehen. Nämlich
warum man in 45-Minuten-Blöcken lernen soll. 45 Minuten Mathe. 45 Minuten Englisch. 45 Minuten Erdkunde. 45 Minuten Sport. 45 Minuten Französisch. 45 Minuten Deutsch.
Dazwischen jeweils fünf Minuten Pause. Dazu stetiger Personalwechsel.
Ein Schüler in Deutschland bekommt häufig an einem einzigen Vormittag von
sechs verschiedenen Menschen sechs unterschiedliche Wissensgebiete vermittelt.
Nie käme ein normaler Mensch auf die
Idee, sein eigenes Lernen auf diese Art zu organisieren. Weil er sonst nur den
Bruchteil des an ihn heran getragenen Wissens behalten würde. Das Schulsystem
war und ist für viele Menschen schlicht nicht geeignet. Wie gesagt, jeder hat
seine eigene Schulerfahrung. Jeder würde, könnte er darüber bestimmen, Schule
ein wenig anders organisieren. Beim einen würde sie früher anfangen, beim
anderen später. Beim einen gäbe es mehr Frontalunterricht, beim anderen mehr
Gruppenarbeit. Der eine würde strengere Lernvorgaben anordnen, der andere würde
versuchen, Themen stärker autodidaktisch erschließen zu lassen. Jeder Mensch
lernt anders. Aber es gibt nur ein
System. Warum eigentlich?
„Die Zivilgesellschaft ist heute reif, Schule in Freiheit zu gestalten", ist
die Volksinitiative „Schule in Freiheit überzeugt. Die Berliner Initiative hat
sich das Ziel gesetzt, 20.000 Unterschriften zu sammeln. Dann nämlich müsste
sich das Berliner Parlament mit dem Thema befassen. Die Forderung von „Schule
in Freiheit" ist dreigeteilt, und würde sie umgesetzt, es wäre nicht weniger
als die Revolution des Schulwesens. Erstens, die Schulen sollen die Inhalte und
Qualitätsmaßstäbe ihrer Arbeit selbständig gestalten können. Zweitens, die
Schulen in staatlicher und freier Trägerschaft sollen ohne Schulgeld zugänglich
sein. Drittens, alle Schulen, die es wollen, sollen die organisatorische Selbständigkeit
erhalten.
Den Wunsch nach großen Veränderungen gibt es nicht nur in Berlin. In der Schweiz
zum Beispiel wurden allein im vergangenen Jahr mehrere Initiativen, Petitionen
und Unterschriftenlisten mit der Forderung nach freier Schulwahl gestartet: in St. Gallen, Thurgau, Waadt sowie in Basel-Stadt und
Solothurn. Und in Hamburg wird am 18. Juli per Volksentscheid darüber
abgestimmt, ob die Kinder in Zukunft länger zusammen lernen werden.
Die Unzufriedenheit sucht also nach Auswegen. Der Kompass, wohin sich ein
Schulsystem entwickeln müsste, damit die Menschen glücklicher und gebildeter
würden, könnte die Erfahrung der Ökonomie liefern. Genauer gesagt die Erfahrung
von Vielfalt und Wettbewerb. Die nämlich lehrt, dass nur wenn Unternehmen um
die Gunst der Kunden kämpfen müssen, sie diesen auch die bestmöglichen Produkte
präsentieren. Dann wird der Kunde zum König, wird an Verbesserungen gefeilt,
nach Kostensparpotentialen ohne Qualitätsverlust gesucht. Der Wettbewerb macht
das Bessere zum Feind des Guten. Warum
sollte dies im Schulsystem nicht auch funktionieren?
Es ist die Idee der sogenannten Bildungsgutscheine, welche die Segnungen des
Wettbewerbs ins Schulsystem holen würden. Eltern würden vom Staat Bildungsgutscheine
erhalten, die sie bei einer Schule ihrer Wahl einlösen könnten. Das könnten
staatliche, aber auch private Schulen sein.
Die Folge: Schulen müssten um ihre Kunden (Schüler und Eltern) werben. Mit
überzeugender Pädagogik, mit Freundlichkeit, mit Kompetenz. Die Schulen würden
unterschiedliche Konzepte testen. Man würde sehen, welche Lehrmethoden besser
funktionieren als andere. Erfolgreiche Schulen würden neue Schüler anlocken,
andere Schulen würden hart arbeiten, um den Rückstand wettzumachen. Alle
Schulen hätten das Ziel besser zu werden, denn nur so würden sie an die
Bildungsgutscheine gelangen, die sie beim Staat in Geld tauschen könnten.
Vom Wettbewerb ist das deutsche Schulsystem weit entfernt. Wer in Deutschland
schulpflichtig wird, dem wird ein Schulplatz zugewiesen. Um Schüler werben muss
kaum eine Schule. Warum sollte man sich da anstrengen? Freilich gibt es
Privatschulen. Aber die können sich nur die wenigsten leisten. Weil der Staat die vollen Schulkosten
nur für die staatlichen Einrichtungen bezahlt. Anerkannte Privatschulen
erhalten maximal zwei Drittel der Auslagen.
Das Ausland traut sich mehr In Dänemark zum Beispiel gehen 12 Prozent der
Schüler mittlerweile auf Privatschulen.
Der Staat übernimmt dort 80 Prozent der Kosten. In Schweden gibt es
Bildungsgutscheine, von denen vor allem in städtischen Gebieten Gebrauch
gemacht wird. Auch in Finnland können die Schüler zwischen privaten und
staatlichen Schulen wählen. Allerdings behält der Staat die Kontrolle über
Lehrplan und Lehrer, außerdem darf die Privatschule nicht weiter als fünf
Kilometer vom Wohnort entfernt sein. In den Niederlanden sind die Freiheiten
größer. Die Lehrpläne liegen in der Verantwortung jeder einzelnen Schule, 400
unterschiedliche Schulprogramme konkurrieren um die Gunst der Schüler.
Wettbewerb schafft Qualität. Doch nötigt er auch die Kunden zu wählen. Wer die Wahl hat, hat die Qual. Das wäre ein Nachteil
eines Schulsystems, das durch Vielfalt bestechen würde: Die Eltern müssten sich
informieren. Nur wer über die Angebote Bescheid weiß, wird für seine Kinder
auch die richtige Schule wählen. Das kann zur Segregation führen, also der
Entmischung sozialer Gruppen. Dass beispielsweise Kinder von gut verdienenden
und gut ausgebildeten Eltern auf die eine Schule gehen, während Kinder aus
ärmeren Verhältnissen die andere Schule besuchen. In den Niederlanden gibt es
zum Beispiel die Tendenz, dass eine Segregation nach Hautfarbe auftritt.
Und in Schweden hat man festgestellt, dass durch die Einführung der Wahlfreiheit,
die Kosten nicht gesunken sind. Vielfalt kann dann teuer sein, wenn der Staat
sozusagen als Notnagel herhalten muss. Weil staatliche Schulen weiterhin jedem
Schüler einen Schulplatz garantieren müssen und gerade in ländlichen Gebieten
die Kosten durch mehrere parallel existierenden Schulen in die Höhe schnellen
können.
Aber keine Veränderung ohne Risiko. Die Mehrheit der Deutschen ist mit dem
gegenwärtigen Schulsystem unzufrieden. Wilhelm von Humboldt war der Überzeugung,
dass die Schulen für ihre Arbeit Freiheit brauchen und forderte, dass der Staat
sich aus der Pädagogik heraushalten soll. Gut möglich, dass dann das Lernen für
viele wieder ein „lernen dürfen", statt ein „lernen müssen" würde. Weil die
Schüler Lernformen finden würden, die zu ihnen passen.
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