Teil 2: Lesen Sie den nachstehenden Text und lösen Sie die
dann die Aufgaben 11 - 20
Lebensberatung
vor dem Aus
Im Berliner Dom arbeitet die einzige evangelische „Offene
Tür" im Osten Deutschlands, die Lebensberatung anbietet. Doch ihr droht nun die
Schließung, denn Bezirk, Land und Kirche haben kein Geld. Sandra Schulz interviewte Sabine
Hykel, die Leiterin der Beratungsstelle.
HYKEL: Vor allem Leute, die zeitlich
befristete Arbeitsverträge haben. Sie arbeiten meist in Bereichen, in denen
Berufserfahrung nicht so viel zählt. Es handelt sich dabei um Leute aus
Bereichen, in denen man oft schnell viel produzieren muss. Zum Beispiel
Computerfachleute, das sind junge Menschen, die einen hohen Arbeitsdruck haben.
Die sagen: Ich weiß, dass ich ein Workaholic bin, aber ich weiß nicht, wie ich
da rauskommen soll. SCHULZ: Ihre Beratungsstelle ist nicht weit vom Reichstag, dem Sitz des
Deutschen Bundes-tages. Gehören auch Bundestagsabgeordnete und Regierungsbeamte
zu Ihrer Klientel?
HYKEL: Ja, viele haben Probleme mit ihren
Partnern, wenn einer in Bonn lebt und einer in Berlin. Viele sehen auch: Berlin
ist eine Riesenstadt, in der man nicht so gut Leute kennen lernen kann wie zum
Beispiel in Bonn.
SCHULZ: Womit
kämpfen diese „Neu-Berliner" außerdem noch?
HYKEL: Die fühlen sich in Berlin unbedeutender
als in Bonn. Wenn sie hier in ein Lokal am Gendarmenmarkt gehen, dann fällt das
nicht unbedingt auf. In Bonn dagegen kannte man sich, da gehörte man zur
Prominenz.
SCHULZ: Beratungsstellen gibt es ja viele, von der Telefonseelsorge bis
hin zur Psychotherapie. Was ist das Besondere an der Lebensberatung im Dom?
HYKEL: Aufgrund unseres christlichen
Menschenbildes wird uns natürlich großes Vertrauen entgegengebracht. Außerdem
kann man hier einfach vorbeikommen, man muss keinen Antrag ausfüllen.
SCHULZ: Welches
sind allgemein die drängendsten Themen?
HYKEL: Einsamkeit ist eines der größten. Es
ist die Angst, Single zu bleiben. Viele sagen: Eigentlich wollte ich mal eine
Familie gründen, und jetzt weiß ich nicht, wie ich jemanden kennen lernen soll.
In letzter Zeit versuchen manche Klienten, sich regelrecht abzusichern. Die
suchen sich Wohnungen in der Nähe von Kliniken, damit sie es im Notfall nicht
so weit haben, wenn mal irgendetwas wäre.
SCHULZ: Das
sind vermutlich eher ältere Leute?
HYKEL: Nein, Jüngere, um die 30 Jahre. Die
überlegen sich auch ganz gezielt: Welche Nachbarn kann ich kennen lernen? Bei
wem kann ich klingeln, wenn es mir schlecht geht? Wo kann ich dann einen Tee
trinken oder mit jemandem zehn Minuten reden?
SCHULZ: Wann
treten die Schwierigkeiten auf?
HYKEL: Meist gegen Ende der Ausbildung. Das
ist das Problem, fertig zu werden und dann in den Beruf zu kommen, für den man
so lange gelernt hat, also etwas zeigen zu müssen in der Öffentlichkeit. Oft
gibt es ein großes Problem dahinter, zum Beispiel wenig Selbstwertgefühl.
SCHULZ: Wie
viel Zeit nimmt eine Lebensberatung in Anspruch?
HYKEL: Das lässt sich so genau nicht
festlegen. Die einen kommen über Monate hinweg, andere schauen nur einmal
herein. Im Durchschnitt führen wir wohl insgesamt zehn Gespräche mit einem
Hilfesuchenden, und jedes Gespräch dauert etwa eine Stunde. Es gibt aber auch
Menschen, die nach einer halben Stunde sagen: So, jetzt ist es gut.
SCHULZ: In diesem Monat entscheidet sich, ob die Lebensberatung schließen
muss. Lässt man die Berliner also bald allein in der Krise?
HYKEL: Selbst in kleineren Städten wie
Nürnberg oder Kassel gibt es gut ausgestattete „Offene Türen". Und in der
Hauptstadt Berlin soll es das nicht mehr geben? Das fände ich seltsam.
SCHULZ: Wenn
es doch so kommen sollte – was raten Sie sich selbst?
HYKEL: Zum Arbeitsamt zu gehen, das ist nichts
für mich. An einem anderen Ort neu anfangen mag ich auch nicht. Also:
Vermutlich mache ich mich dann selbstständig.
(Die Zeit, 08.05.2003
– zu Prüfungszwecken bearbeitet) Die gesamte Aufgabe kann man vom Server herunterladen >>
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