Heidi Ukkola (Finnland) (Sommersemester
1995)
Wer hatte
sich nicht in einem anderen Land fremd gefühlt? Wenn man die Sprache und die
Menschen nicht versteht? Vielleicht fühlt man sich als Tourist nicht fremd,
weil man weiß, dass man fremd ist und das auch bleibt, dass man bald wieder in
der bekannten Heimat ist. Aber wenn man eine längere Zeit in einem fremden Land
bleibt, um zu studieren oder zu arbeiten, fühlt man sich zwangsläufig fremd.
Ich denke, dass Fremdheitserfahrungen in einer solchen Situation sogar
notwendig sind: Wenn man nicht merkt, was anders ist, fremd ist, kann man sich
nicht an das neue Leben anpassen.
Ich habe
mich sehr fremd gefühlt. Ich kam hier einigermaßen ohne Vorurteile und
Erwartungen, die ich bewusst "aus meinem Kopf rausgeschmissen" hatte,
so dass ich alles selbst erfahren konnte. Und ich habe vieles erfahren und
viele Eindrucke gesammelt.
Mein erster
Eindruck von Dresden war nicht positiv. An einem Septembertag 1993 landete mein
Flugzeug in Dresden. Meine Koffer wogen mehr als ich, ich hatte mich zu warm
angezogen, ich
war sehr früh
aufgestanden, ich war lange gereist und auf dem Flughafen war ein Chaos: Tag
der offenen Türen oder ähnliches. Außerdem es gab kein Taxi auf dem Flughafen!
Das fand ich sehr
unglaublich.
Nach ewig dauerndem Warten kam eins, aber ich konnte kaum Deutsch und der
Fahrer kein Wort Englisch. Als wir durch die Stadt fuhren und ich diese grauen
Häuser, diese graue Stadt sah, wäre ich am liebsten zurück nach Hause gefahren.
Noch lieber hätte ich geweint, aber ich konnte warten, bis ich alleine in
meinen Hotelzimmer war.
Ich bin
trotz allem geblieben, aber ich habe mich überhaupt nicht wohler gefühlt.
Besonders in meinem Wohnheimzimmer nicht. Ich fand alles sehr alt und schlecht
- wie es auch ist. Ich hatte am Anfang keine Kopfkissen und musste mich kalt
duschen, weil es kein warmes Wasser gab und die Heizung war auch kaputt. Und
dass ich meine Küche mit der ganzen Etage teilen musste, war ein Schock. Aber
ein noch größerer Schock waren meine kleinen Nachbarn: die Schaben. Alles
andere ging noch, aber die Schaben haben mich fast nach Hause geschickt. Mit
oder ohne Schaben habe ich mich nicht dort wohlgefuhlt. Ich konnte mich nur
damit trösten, dass mein Wohnheim noch ziemlich gut war. Aber die Stadt ist für
alle gleich und da habe ich mich auch nicht wohl gefühlt. Ich bin sowieso kein
Stadtmensch, aber hier war vieles mir noch fremder als in den finnischen Städten.
Hier war und ist die herrschende Farbe schmutzig graubraun. Einem Auge, das an
reines Weiß, tiefes Blau und Wald grün gewohnt ist, kommt diese Farbe fremd
vor.
Und für Füße,
die immer nur auf glatten, ebenen Straßen gelaufen sind, sind die Straßen hier gefährlich.
Und in einer solchen Stadt, wo man nicht auf den Straßen laufen kann, ohne dass
man nur auf die Straße guckt, fühlt man sich sicherlich fremd, weil man nur die
Straßenoberflächen kennt.
Aber ich
habe mich immer damit getröstet, dass ich kein Auto oder Fahrrad fahre. Nicht
nur wegen dieses chaotischen Verkehrs, sonder wegen dieses chaotischen Zustands
der Straßen. Auch der chaotische Zustand der Häuser ist mir fremd. So schlecht
gepflegte Häuser durfte es nicht geben und so viele leere Häuser noch weniger. Auch
wenn hier etwas wärmeres Klima ist als in Finnland, brauchen die Menschen
trotzdem eine Wohnung. Und gerade wegen dieses wärmeren Klimas habe ich mich
etwas fremd gefühlt. Aber es hat mich nicht so besonders viel gestört. Nicht so
wie die Umweltbedingungen hier. Die schlechte Luft und das miserable Wasser
haben in meinem Körper Fremdheitserfahrungen erweckt. Er fühlt sich unter
diesen Bedingungen fremd und protestiert dagegen durch meine Haut.
Und ich habe
am Anfang gegen das Einkaufen protestiert. Ich habe mich immer in großen Geschäften
- besonders in Lebensmittelladen - sehr fremd gefühlt. Ich habe nur sehr selten
gefunden, was ich gesucht habe - aber dafür Riesenmengen Fertiggerichte, die
ich überhaupt nicht essen wollte. Der einzige Trost ist, dass es hier billiger
als in Finnland ist. Aber Geldsparen hat mir nicht geholfen beim Verstehen des
Verhaltens der Menschen. Es ist nämlich unglaublich schwierig, mit schlechtem
Deutsch zu siezen - besonders wenn man mit der eigenen Muttersprache noch nie
zu einem Menschen „Sie‘‘ gesagt hat. Und wenn man keine vernünftige Erklärung für
das Siezen und auch für das häufige Handgeben hat, fühlt man sich wieder fremd.
Jedenfalls ich fühlte mich fremd. Bekannt
kam mir diese ewige Hektik einerseits und andererseits diese Faulheit auch
nicht vor. Ich kann immer noch nicht verstehen, warum jemand rennt wie um die
Wette, um einen Bus zu kriegen und steigt dann an der nächsten Haltestelle aus.
Aber es gibt
einen Platz, wo kein Mensch eilt: die deutschen Behörden. Bürokratie gibt es überall,
aber hier ist es besonders schlimm. Diese ganzen Behörden und Ämter - oder was
die immer sind - haben mir ein schlimmes Fremdheitsgefühl gegeben. Ich habe
mich sehr oft als ungewünschte Fremde gefühlt, die so schnell wie möglich zurück
in ihren Heimat gehen sollte. Aber ich habe nicht aufgegeben trotz Heimweh,
trotz Einsamkeit, trotz Unsicherheit, trotz allem bin ich hier geblieben. Und
langsam wurde alles bekannter und besser. Nachdem ich das erste Mal wieder zu
Hause gewesen war, ging alles schon viel besser. Ich hatte gesehen, dass alles
zu Hause wie immer ist und dass ich immer zurückgehen kann, Außerdem kannte ich
schon mehr Leute und konnte besser Deutsch. Aber was noch wichtiger ist: ich zog
um. Im Wohnheim hatte ich mich sicherlich nie wohlgefuhlt. Deswegen waren die
neue Wohnung und die schönere Wohnumgebung mir sehr wichtig. Da fühlte - und fühle
- ich mich fast wie zu Hause.
Jetzt bin
ich hier schon seit einem Jahr und acht Monaten und bin hier zu Hause. Obwohl
die Straßen immer noch schlecht sind und die Stadt immer noch grau ist. Aber
ich habe gelernt, meine Füße höher zu
heben und meine Wohnung ist voll von Grünpflanzen. Gegen das Einkaufen
protestiere ich immer noch, weil ich einfach nicht finde, was ich suche, und
deswegen muss ich auch immer ab und zu diese schlimmen Fertiggerichte essen.
Die Essgewohnheiten der Deutschen finde ich besonders schlecht, schon wegen der
Fertiggerichte, aber auch wegen des vielen Fettes und Fleisches. Als Tochter
eines Fischers ist es für mich unglaublich, dass hier kaum Fisch gegessen wird.
Und ich kann immer noch nicht verstehen, warum man immer siezen
muss und die
Hand geben. Ich habe darüber viel nachgedacht und Deutsche gefragt, aber einen vernünftigen
Grund habe ich nicht gefunden.
Heimweh habe
ich kaum noch, einsam bin ich nicht mehr. Aber ich bin immer noch fremd in
diesem Land. Das ist nicht mein wirkliches Zuhause. Aber ich kann hier leben
und mich einigermaßen wohl fühlen, weil ich weiß, was mir fremd ist und ich
diese Sachen akzeptieren kann als Bestandteile dieses Lands, dieser Kultur, die
nicht meine eigene ist.