Die Finger stritten hin und her, wer doch der Wichtigste wohl wär'. „Still da! Der Stärkste, der bin ich! Ihr seid nichts nütze ohne mich! Mehr als ihr Vier tu ich allein, drum muss ich euer König sein!"
So schrie der Daumen. Schon geringer erhob die Stimm' der Zeigefinger: „Die gröbsten und die feinsten Sachen kann ich allein am besten machen! Der Fleißigste und Tüchtigste bin ich und drum der Wichtigste!" Der Mittelfinger rief: „Lernt Sitte! Als Herr steh ich in eurer Mitte! Ich bin der Längste und der Größte und darum auch der Allerbeste!"
Da sagte der Goldfinger: „Seht, ich merke, dass ihr nichts versteht! Mich schmücken Gold und Edelstein drum muss ich mehr als ihr doch sein!" Der kleine Finger stille schwieg und mischte nicht sich in den Krieg.
Da riefen ihm die Andern zu: „Sprich doch! Was nützest dann wohl du?" Er sprach: „Wärt ihr im Fingerkranze wohl das so nützlich schöne Ganze. wärt ohne mich, so stark, gewandt, wärt, ohne mich, ihr eine Hand? Auch mich schuf ja der liebe Gott, wie euch - doch nicht zu eurem Spott! Der mich gebildet, weiß, wozu, - ob ich, was mir gebührt auch tu, ob ich nach Kräften Gutes leiste, wenn auch gerade nicht das Meiste. Tut einer seine Schuldigkeit an seinem Ort, zu seiner Zeit, in seiner Art und Eigenschaft nach der von Gott verlieh'nen Kraft: Dann ist er seines Platzes würdig und seinen Brüdern ebenbürtig: Schmückt jeder sich mit guten Taten, dann ist das Ganze wohlberaten!"
Die andern hörten, was er sprach und dachten wohl darüber nach. Still überlegten sie es sich und sprachen dann einmütiglich: „Hast wahr gesprochen, lieber Kleiner, du bist so gut als unsereiner! Mehr als die Andern ist gar keiner!"
Karl W. Ferdinand Enslin (1819 -1875) |
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